Post-Ironie und Faktizität
Man sagt, wir leben in einem postfaktischen Zeitalter. Damit ist gemeint, dass es im öffentlichen Diskurs zunehmend irrelevant wird, ob eine Aussage faktisch wahr ist oder nicht, solange sie ihre Wirkung erzielt und in das Weltbild ihrer Rezipienten passt. Wieso sollte man auch etwas hinterfragen, was den eigenen Interessen zuträglich ist, oder man zumindest denkt, dass es das ist? Funktionalität schlägt Faktizität.
Wenn Donald Trump über haitianische Einwanderer in Springfield sagt „sie essen die Hunde, die Menschen, die hereinkamen essen die Katzen, sie essen die Haustiere!“ ist das postfaktisch par excellence, weil diese Falschbehauptung nichts ist als ein emotionaler Triggerpunkt für die, sowieso schon xenophobe, Trump-Wählerschaft – Treibstoff für die Hass-Maschine.
Hinter dieser Post-Faktizität im politischen Diskurs um Trumps Statement, verbirgt sich eine postironische Dimension, die oft zwar angeschnitten, selten aber explizit behandelt wird. Post-Ironie meint viel, hier wollen wir aber darunter verstehen, dass eine Aussage zwar wahr ist, aber so dargeboten wird, als wäre sie ironisch gemeint. Das trifft zwar nicht auf Trumps Aussage selbst zu, aber auf die gesamte Situation. Während es in der ersten Amtszeit Trumps noch als Satire gegolten hätte, ihm in den Mund zu legen, dass Migranten die geliebten Haustiere von US-Bürgern essen würden, ist es heute Realität. Damit ist Post-Ironie längst kein rhetorisches Mittel mehr, sondern ein Zustand der Realität, die Fakten selbst sind postironisch.
Ob Trump, der den Golf von Mexiko in den Golf von Amerika umbenennt, Republikanerin Marjorie Taylor Greene, die schon lange ihre Theorie eines jüdischen Space-Lasers Publik macht, Musk, der seinen Hitlergruß als „my heart goes out“-Geste vertuschen will, Mr. Burns als Bundeskanzler oder auch absurde Quatsch-Debatten und Interviews in den Medien, wie sie besonders durch das Verhalten Alice Weidels veranschaulicht werden – die Realität macht sich über uns lustig. Damit sei nicht gesagt, dass es nie absurde Vorfälle in der Geschichte gab – natürlich gab es die. Allerdings ist einerseits die Frequenz solcher Ereignisse, wegen des Zuwachses an Menschen und dem politischen und ökonomischen Zustand der Welt momentan, angestiegen, andererseits ist aber auch die Verbreitung solcher Ereignisse durch Social-Media so effizient wie nie. Damit sind wir aber auch schon beim letzten Teil unseres Problems angekommen.
Online wird es immer schwerer, Wahrheit von Lügen zu unterscheiden. Das liegt nicht nur daran, dass KI-Fakes immer besser werden oder dass politische Akteure gezielt lügen verbreiten, sondern auch zu einem großen Teil daran, dass die absurdeste Lüge genauso gut wahr sein könnte. Darin liegt die wirkliche Post-Faktizität unseres Zeitalters. Wäre die Nachricht, dass Trump den Golf von Mexiko stumpf in den Golf von Amerika umbenennen möchte, erst heute erschienen, wie viele hätten sie zuerst für einen Witz gehalten? Wie viele haben sie vielleicht sogar zuerst für einen Witz gehalten?
Man schaut am 1. April auf Instagram und sieht einen Post wie den von Kassel Memes: „Wir treten zur Bürgermeisterwahl an“ – man stutzt kurz, wenn überhaupt, aber dann auch nicht wirklich und scrollt einfach weiter, schließlich ist es nicht der erste April-Fools-Post heute. Man kommt aber nicht umhin zu fragen, ob man den Post an einem anderen Tag irritierender gefunden hätte, oder ob man sich so sehr an Bullshit gewöhnt hat, dass man diese Nachricht wie jede andere unbeeindruckt hingenommen hätte. Die Absurdität der Realität stumpft ab gegen jede Satire. April-April ist tot, denn schon seit einiger Zeit fühlt sich jeder Tag an wie der erste April, nur ohne die Genugtuung der Auflösung des Witzes. Wenn das Weiße Haus ein Bild von einer verhafteten und weinenden Migrantin im animierten Stil des für seine Menschlichkeit berühmten Ghibli Studios, oder Trump seine Pläne für den Kauf des Gaza-Streifens und den dazugehörigen, KI generierten Plänen zum „Trump Gaza“ am ersten April veröffentlicht hätten, hätte man noch hoffen können, dass es sich dabei nur um geschmacklose Witze handelt. Wie die Dinge jetzt sind, leben wie aber in bitterer Gewissheit um ihren Ernst, während der erste April dadurch jeden Witz an die Realität verliert.