Europa und Hessen-Debatte: Sechs Direktkandidaten stellten sich den Fragen der Bürger

Kassel-Weserspitze Am gestrigen Dienstagabend versammelten sich sechs der acht Landtagskandidaten des Wahlkreises Kassel-Ost, um über Europa zu diskutieren. Dabei stellten sie sich auch den Fragen der Anwesenden und stellten ihre Vorstellungen eines Europas der Zukunft vor.

Mit von der Partie waren die Kandidatin Violetta Bock (Linke), der hessische Abgeordnete Wolfgang Decker (SPD), der Stadtverordnete Jörg Hildebrandt (CDU), sowie Christian Kuschel (FDP), Thomas Materner (AfD) und Karin Müller (Grüne).

Bereits in der Vorstellungsrunde positionierten sich die Direktkandidaten zur Landtagswahl am 28. Oktober 2018 ihre Positionen zu Europa. Frau Müller von den Grünen betonte, dass die Wirtschaft gestärkt, in Mobilität investiert und die Nähe zum Bürger garantiert werden müsse, um Europa zu einen. Außerdem müsse die Wasserversorgung öffentlich bleiben und dürfe nicht in private Hände gegeben werden. Die Mobilität könne schon heute durch CO²-Klimaziele und Verordnungen durch die EU finanziert und gesichert werden.
Herr Materner von der AfD sagte, Europa könne nur sicher sein, wenn die Sicherheit und Demokratie auf anderen Kontinenten garantiert werden könne.  Dies sei nur mit der Stärkung der Wirtschaft in diesen Ländern möglich. Die “Flüchtlingskrise” bedeute für Europa den Bruch. Deutschland habe sich isoliert, in dem es das einzige Land sei, dass Flüchtlinge in Europa aufnehmen würde. Europa könne nur mit dem Sozialstaatsgedanken und Wohlstand funktionieren. Wichtig sei, dass Nationalstaaten nicht geopfert würden, um einen europäischen Kontinentalstaat zu gründen.
Christian Kuschel von den Liberalen hält dagegen. Langfristig wäre das Ziel die “vereinigten Staaten von Europa” zu gründen. Dabei soll auf EU-Ebene auf jegliche Verordnungen, wie DSGVO oder Bananenkrümmung verzichtet werden. Diese Angelegenheiten seien Sachen der Staaten oder Bundesländer.  Europa müsse dafür zu einem “Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten” werden und weg von dem Zwang alles gleichzuschalten. Es könne nicht sein, dass Deutschland oder Frankreich von Staaten wie Bulgarien oder Rumänien verlange, genauso schnell und stetig zu wachsen. Dies führt mehr zu Krisen als zur Stärkung. Zudem sagte Kuschel, dass eine gemeinsame Verteidigungspolitik sinnvoll wäre. Eine europaweite Wehrpflicht hält er aber für nicht notwendig.
Der CDU-Kandidat Jörg Hildebrandt stimmt Kuschel in der gemeinsamen Verteidigungspolitik zu und nennt als Beispiel Frontex als Beitrag zur Verteidigung Europas. Er sieht ebenso, dass Europa entbürokratisiert werden – und Deutschland als Motor Europas weiterhin die EU fördern müsse. Den Menschen in Europa müsse beigebracht werden, dass die heutigen Errungenschaften Europas zuvor erkämpft werden mussten.
Wolfgang Decker von der SPD erzählte, wie sein Großvater noch gegen andere europäische Länder gekämpft hat und das wir froh sein können, dass es so etwas – bis auf einige Ausnahmen – seit 70 Jahren nicht mehr geschehen sei. Um Europa zu erhalten, müssten europaweit die Lebensverhältnisse angeglichen werden, in dem Arbeit gesichert werde. Zudem müsse Einigkeit über Steuern bestehen. Es könne nicht sein, dass es Unternehmen gäbe, die Milliarden an Euro Steuern durch irgendwelche Tricks sparen würden. Solche Themen seien es, die die Bürger wütend mache und das Vertrauen in die EU verlören.
Violetta Bock von der Linkspartei wünscht sich weltweite Freizügigkeit. Europa könne nur eine Zwischenlösung sein auf dem Weg dahin sein. Der Kapitalismus sei der Grund aller Probleme. Um gegen diesen anzukämpfen verweist sie auf die Idee der Internationale der Arbeiterbewegung und fordert eine internationale Gewerkschaftsstruktur und Solidarität aller Menschen untereinander. Europa sei frei und ungerecht zugleich. Arme würden ärmer, Reiche reicher. Bildung müsse gefördert werden. Lehrstellen müssten nicht nur geschaffen, sondern auch besetzt werden und Verhältnisse wie sie im Jobcenter vorzufinden sind, müssen bekämpft werden.

Nach der Vorstellung der Kandidaten folgte ein Statement zur europäischen Solidarität. Der Vorsitzende des gastgebenden Vereins “Europa-Union Kassel” Prof. Dr. Hermann Heußner sprach von einem geeinten Europa, welches nur möglich sei, wenn die Gewerkschaften gestärkt würden und die Sprache Englisch in ganz Europa gesprochen würde. Dazu machte er auch einen Vorschlag: Er forderte, dass das Lernen der englischen Sprache nicht erst in der fünften Klasse beginnen dürfe und auch in der Berufsschule fortgeführt werden müsse. Kommunikation und Zusammenhalt seien die wichtigsten Grundlagen für ein geeintes und friedliches Europa.
Sowohl Grüne als auch CDU waren sich einig, dass sie in Sachen Bildung auf dem richtigen Kurs seien und gaben an über 1.000 Lehrerstellen geschaffen zu haben. SPD und Linke lehnten diese Aussagen ab. Lehrerstellen müssen besetzt werden. Zum Thema Englisch antwortete lediglich Hildebrandt (CDU): “Meine Erfahrungen zeigen, dass anderswo genauso oder schlechter Englisch gesprochen wird, als in Deutschland”. Er warnte davor, Deutschland bei den Sprachkenntnissen als Vorbild zu stilisieren, weil dies im Ausland nach dem Motto “ja, ja, ihr könnt alles besser” negativ aufgenommen werden könnte.  “Dennoch müssten wir hier natürlich nachbessern.”, so Hildebrandt weiter.

Im Folgenden wurden Fragen aus dem Publikum gestellt. Wir haben euch die Fragen und Antworten in Kürze zusammengefasst:

Frage: Warum sollen Diesel-Fahrverbote eingeführt werden, wenn laut ADAC und verschiedenen Medien die Abgaswerte anderer Fahrzeuge nicht höher seien?

Müller (Grüne): Wir müssen aufhören Mythen zu glauben oder zu verbreiten. Elektromobile müssen her, die saubere Energie tanken, statt Kraftstoffe wie Diesel. Ich bin selbst für Nachrüstung statt für Verbote.
Materner (AfD): Die Debatte um Fahrverbote an sich sei quatsch. Heutzutage sind die Abgaswerte der Autos doch 100 mal besser als früher. Ein Fahrverbot in Hamburg einzurichten, obwohl gleichzeitig zahlreiche Dampfer durch Hamburger Hafen fahren, die einen zehntausend fachen CO² Ausstoß verursachen, sei doch verrückt. Trotzdem sollte in diesem Fall eine Nachrüstungsmöglichkeit angeboten werden. Ein Verbot wäre sinnfrei, gerade für Familien und Handwerker.
Kuschel (FDP): Die Sache ist doch klar! Wenn jemand ein Produkt anbietet und dabei betrügt, muss er es zu seinen Kosten nachrüsten.
Hildebrandt (CDU): Wir müssen die Autoindustrie in die Pflicht nehmen! Ob die Abgaswerte nun schädlich sind oder nicht, wir müssen die Klimaziele erreichen!
Decker (SPD): Wir sind als Partei natürlich dafür, dass die Dieselfahrzeuge nachgerüstet werden. Fahrverbote machen keinen Sinn. Klimaziele zu erreichen, sei möglich, wenn der ÖPNV in Deutschland gefördert und verbessert werde.
Block (Linke): Zum einen muss der ÖPNV verbessert werden, zum anderen müssen Fahrten zum Nulltarif für jedermann das Ziel sein. Außerdem gälte es Fahrradwege zu verbessern und zu optimieren. Hier lobe ich mir die Fahrradinitiative Kassel. Es sollte nur nicht Aufgabe von Verbänden oder Vereinen sein, sondern von der Politik!

Frage: Wie kann man Europa zu einer außerordentlichen Toleranz erziehen? Wie stoppt man Polarisierung und wie kriegt man es hin gegenpolige Menschen wieder zusammenzubringen?

Block (Linke): Mit Rechtsradikalen und Nationalsozialisten kann man nicht reden. Sie sind der Grund für jeglichen Populismus.
Decker (SPD): Es muss ganz einfach mehr mit Menschen geredet werden. Meine besten Begegnungen habe ich immer in der Kneipe und nicht im Parlament.
Hildebrandt (CDU): Zusätzlich zu dem,  was Herr Decker gesagt hat, ist es wichtig den Menschen die Angst zu nehmen.
Kuschel (FDP): Die Lösung muss heißen gute Politik zu machen.
Materner (AfD):  Das Problem ist die Flüchtlingspolitik, unkontrollierte Einwanderung und fehlgeleitete Politik. Gute Politik bedeutet auch, dass Deutschland sich nicht isolieren darf und den anderen Nationen vorschreiben soll, was sie zu tun haben.
Müller (Grüne): Zu aller Erst muss man Fake-News stoppen. Dann muss man der Neiddebatte entgegenwirken und aufklären. Die Probleme müssen beim Namen genannt werden und es muss öffentlich darüber gesprochen werden. Den Menschen muss gesagt werden, dass Flüchtlinge die hierherkommen unsere Hilfe benötigen und müssen auch gesagt bekommen was und warum sie die Hilfe bekommen und was die Flüchtlinge alles durchmachen mussten, bis sie hier angekommen sind.

Frage zur Sozial- und Asylpolitik:

Block (Linke): Ich kann mich nur wiederholen: Das gleiche Recht für alle sollte auch für jedermann gelten! Es kann nicht sein, dass Menschen, nur weil sie in einem anderen Land sind, nicht die gleichen Rechte haben, wie jeder andere vor Ort.
Decker (SPD): Man muss unterscheiden zwischen Asyl- und  Einwanderung. Einwanderung muss kontrolliert werden. Fachkräfte aufzunehmen muss unser Ziel sein, weil wir in Europa immer weniger werden, die über die notwendigen Qualifikationen verfügen. Und wer aus Gründen des Krieges oder der Unterdrückung hierher flieht, dem sollte Asyl und Schutz gewährt werden und so schnell wie möglich integriert werden. Zudem muss weiterhin eine Wanderarbeiterschaft von osteuropäischen Arbeitnehmern verhindert werden und stationäre Arbeit gesichert werden.
Hildebrandt (CDU):  Um zu verhindern, dass sich Flüchtlinge nach Europa begeben, muss man ordentliche Lebensverhältnisse in den Herkunftsländern schaffen. Wir haben hier genug Arbeitsplätze die unbesetzt bleiben, weil uns die qualifizierten Arbeitskräfte fehlen. Die können durch Einwanderer besetzt werden, die qualifiziert sind.
Kuschel (FDP): Fachkräftemangel durch gesteuerte Einwanderung entgegenzuwirken macht Sinn.
Materner (AfD): Es wäre schon schön, wenn so Dinge, wie das Kindergeld geregelt werden würde, in dem Sinne, dass es für Nicht-Deutsche nicht lukrativ ist, nach Deutschland zu kommen, um Kindergeld hier zu beantragen, nur weil sie selbst keine 400 € in ihrem Land verdienen. Das Kindergeld muss nach den jeweiligen Verhältnissen der Wohnsitzländer der Kinder angepasst werden. Bulgaren oder Rumänen sollten also nicht genauso viel Kindergeld erhalten, wie Deutsche, weil sie viel geringere Lebenskosten haben.
Müller (Grüne): Europa bietet bereits alle Voraussetzungen für eine gute und stabile Arbeitnehmerschaft. Wir sind ein Verbund aus Sozialstaaten und das System sollte auch so beibehalten werden.

Frage: Ist die Idee der Inklusion an Schulen sinnvoll und überhaupt umsetzbar?

Müller (Grüne):  Um Inklusion umsetzen zu können bedarf es erst einmal an  ausreichend Lehrer- und Betreuer-Stellen, die dann auch noch gerecht bezahlt werden müssen.
Materner (AfD): Wir sind geschlossen gegen die Schule für alle. Förderschulen bieten bessere Voraussetzungen und mehr Möglichkeiten, um sich den Bedürfnissen der Behinderten anzupassen. In normalen Schulen wird das Tempo einer Klasse gesenkt, wenn auf Inklusion bestanden wird.
Kuschel (FDP): Inklusion mit Augenmaß muss das Ziel sein! Das heißt, dass es  Förderschulen nach individuellen Bedürfnissen geben muss und Schulen, die Inklusion überhaupt anbieten. Nicht alle Eltern oder auch behinderte Kinder wollen an eine normale Schule, das darf nicht missachtet werden!
Hildebrandt (CDU): Wir haben über 1.000 neue Stellen geschaffen und sind in Hessen auf einen guten Weg, um Inklusion und Bildung miteinander zu vereinbaren.
Decker (SPD): Inklusion ist ein richtiger Weg. Doch um dahin zu kommen müssen noch mehr Lehrer- und Assistenzkräfte ausgebildet werden. Eine praxisorientierte Ausbildung würde da unterstützend sein. Außerdem müssen mehr Ganztagsschulen eingerichtet werden, an denen gemeinsam gelehrt, unterstützt und die Freizeit miteinander verbracht wird.
Block (Linke): Die Schule für alle ist doch nur als Sparkonzept entwickelt worden um Förderschulen zu schließen und Lehrer zu kündigen. Es muss auf persönliche Assistenten gesetzt werden, die aber schwer zu finden sind, weil der Job durch seine schlechte Bezahlung nicht lukrativ genug ist.

Zu guter Letzt kam die Frage zur Einigung Europas. Wie will die Politik Europa einigen? 

Um die Geduld und Gemüter der Menschen zu beruhigen und zusammenzuführen, haben die anwesenden Politiker unterschiedliche Vorstellungen und Ideen. Müller sagt, dass Streit zu Kompromissen führt. Die Streitkultur gehört zu Europa und nützt der Demokratie. Materner betont, dass sich Deutschland dem allgemeinen Interesse Europas fügen müsse und sich nicht isolieren dürfe, in dem es als einziges Land Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge fordere. Kuschel argumentiert für ein Europa als Anwalt für alle Staaten Europas. Europa muss ein Stellvertreter seiner Mitgliedsstaaten in der Welt sein und kein Regulator. Europa muss weg von den Kleinigkeiten und darf zukünftig nicht mehr zu viel von Mitgliedsstaaten erwarten. Hildebrandt sagt, dass Bildung der Schlüssel zu einem vereinten Europa sei und das man den Bürgern die Angst nehmen müsse: Man kann sowohl Europäer als auch Nordhesse sein! Decker möchte die Vorteile der EU, Familienglück und Lebenssicherheit durch die EU hervorheben. Block betont, dass Probleme offen angesprochen- und gemeinsam bearbeitet werden müssten.

Damit endete die von der Europa-Union Kassel e. V. ausgerichtete Debatte im Kasseler Wesertor.

Veranstaltungshinweis: Vom 05. – 07. Oktober 2018 findet an der Universität Kassel der Europa-Kongress “Ein anderes Europa ist möglich” statt. Zu Gast werden unterschiedliche Experten aus verschiedenen Ländern sein, darunter Prof. Gesine Schwan, ehemalige Bundespräsidenten-Anwärterin und Gabriele Krone-Schmalz, ehemalige ARD-Korrespondentin in Moskau. Mehr Informationen dazu findet ihr unter: www.ein-anderes-europa.de  .

Veranstaltungshinweis Nummer 2: Vom 15. bis 18. November 2018 findet in Kassel die erste europäische Bürgerbegegnung statt. Veranstaltet wird diese von der Europa-Union und Pulse-Europe. Teilnehmen kann hier ein jeder. Informationen dazu finden sich unter: http://europa-union-kassel.de/buergerbegegnung-2018/

 

Hinweise: Aktualisierung des Beitrages nach Korrektur am 09.10.2018 um 16:30 Uhr, nach Korrekturvorschlägen von Lukas Kiepe (wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel unter Prof. Dr. Wolfgang Schroeder und freier Mitarbeiter der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen. Zudem ist Lukas Kiepe in der SPD- und ehrenamtlich in der evangelischen Kirche aktiv).

Über der Autor: Vincent Meinert ist seit 2016 für die MEDIUM (Studierendenzeitschrift an der Universität Kassel) aktiv. Er war bis Juli 2018 Mitglied bei der SPD und der Juso-Hochschulgruppe. Seit August ist er als gewähltes Mitglied im Studierendenparlament für die Grüne Hochschulgruppe aktiv. Vor 6 Semestern begann er sein Studium in Politikwissenschaften und Soziologie an der Universität Kassel. Ursprünglich kommt er aus Nordrhein-Westfalen, wo er 2014 eine kaufmännische Ausbildung abschloss. 

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