Hauntology is when you see a scary ghost

Zonenrandgebiet von Alexander Eisenach im Staatstheater Kassel

Das Klamauk-Theater Kassel schlägt wieder zu und zwar mit der ganzen dramaturgischen Palette. Schreien, Stottern, Unisono und ein Kurzfilm für all’ jene, die lieber ins Kino gegangen wären. Opfer dieses Theaters, welches das Alberne ganz selbstverständlich alberner darstellt und das Ernste natürlich ernster, ist diesmal der Osten. Und der Westen. Eigentlich alles und auch nichts so richtig.

Am 03.02.2024 feierte das Stück “Zonenrandgebiet” vom Ostdeutschen Regisseur und Autor Alexander Eisenach am Staatstheater Kassel Uraufführung und Premiere. Eisenach, der das Stück geschrieben hat, ist auch Regisseur. Die Dramaturgie lag bei Patricia Nickel-Dönicke, welche unter anderem auch an Dürrenmatts “Die Physiker” am Staatstheater Dramaturgin war. Thematisiert wird die Deutsche Teilung, die Wiedervereinigung, das Aufarbeiten von Geschichte, sowie das allgemeine aktuelle politische Unbehagen.

Mit ebendiesem Unbehagen beginnt das Stück auch. Vier Schauspieler*innen in unterschiedlich schwarzen Umhängen stehen vor einer Laube, hören aktuelles Radio und lamentieren darüber, was nun eigentlich Osten ist. Als Comic-Relief Charakter unterbricht Günther Harder, der eine Art Autor spielt, immer wieder den Trialog, mit der aufgeregten Frage, wo eigentlich der Samowar hin soll. Spätestens bei der dritten Wiederholung dieses Auftritts lacht das Publikum laut mit und wenn dann auch noch mit Inbrunst Gorki zitiert wird, rollt sich die Mehrheit der Gäste schon brüllend neben dem Stuhl.

Es folgt ein kurzer Einspieler. Ein Ehepaar (Annette Kruschke und Hagen Oechel) strandet in einer unbestimmten Zeit an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Sie werden heimgesucht von Grenzschützer-Zombies, die das Point Alpha-Museum überrennen und am Ende den Ehemann beißen. Eine schlechte Idee, wie Harder später in der Rolle des Autors bemerkt, die nichtsdestotrotz sich als der rote Faden durch eine recht hektische Abfolge von Szenen zieht.

Geschichten vom Großvater, vom Krieg und der Heimkehr, vom ersten Markt nach der Maueröffnung vermischen sich mit Schilderungen US-Amerikanischer Doktrinen des Kalten Kriegs. Es gibt NKVD und Polizeiverhöre, ein Zombie-Kult, Aktenzeichen XY-Ungelöst fürs gute Maß und am Ende steht ein Abendmahl geliefert von Amazon. Es ist ein großer Rundumschlag gegen ein Westdeutschland, welches den Faschismus nie überwunden, sich selbst und die eigene Freiheit immer nur im Kontrast zur DDR verstehen konnte und letztendlich alle Fragen, die auf die Systemumbrüche ‘45 und ‘89 hätten folgen müssen in Wohlstand ertränkte.

Notgedrungen bleibt das Stück dabei recht oberflächlich und einige Vergleiche hinken. Auch das Derridas Theorie der “Hauntology”, nach welcher Elemente vergangener Ordnungen in der Gegenwart weiterhin die Möglichkeit alternativer (besserer) Wirklichkeiten ausstrahlen, hier tatsächlich einfach, als Zombies begriffen werden, schmerzt. Doch formuliert das Stück am Ende interessante Erfahrungsberichte, anregende Überlegungen und komplexe Fragen.

Zu blöd nur, dass die Inszenierung diese mit einer überraschenden Selbstverständlichkeit übergeht. Wenn z.B. die Nachwende-Erfahrung des ersten Westeinkaufs und die Enttäuschung der Elterngeneration über den überraschend schnellen Niedergang ihres Lebenswerks dargestellt wird, könnte das sehr sensibel sein. Oder man schreit abgedroschene Beispiele schlechter Eltern-Kind-Interaktionen dazwischen und beißt betont in ein Stück Seife. Beides symbolhaft, durchaus, allerdings provoziert es das Publikum zu erneutem Gelächter oder lautstarken Ekelsbekundungen.

Bevor man das Publikum dafür zu sehr beschimpft, ist anzumerken, dass auch die Regie offensichtlich ein wenig zu viel Spaß mit ihren Mitteln hat. Da werden Hände abgehackt, Blut verspritzt und Schauspieler zucken auf der Bühne. Immer und überall Überlastung. Maschinenpistolen werden abgefeuert, ein Megafon plärrt ins Publikum und Schlagbäume werden herumgewuchtet. Symbolhaft für die Grenzen einer solchen, maximalistischen Inszenierung ist die Erläuterung der Nuklearen Sperrfeuer-Strategie der Nato im Falle des Kalten Kriegs.

Man sollte das Selbstvertrauen haben, dass Vorschläge wie mehrere hundert Atomraketen zwischen Kassel und Fulda abfeuern, um den sowjetischen Vorstoß auszubremsen, von allein absurd wirken. Doch das Staatstheater verlässt sich da nicht drauf und lässt die Schauspielerin im Ghillie-Anzug diese Ideen manisch durch den Raum schreien. Damit es auch bei jedem ankommt, dass das irrational ist, auch wenn man darüber in Kauf nimmt, dass nicht alle akustisch verstehen, was gesagt wurde.

Vertrauen und Selbstvertrauen ist generell eine Frage, die sich bei der Inszenierung wieder und wieder stellt. Insbesondere am Ende, wo nochmal symbolisch ein Baum gepflanzt wird, um mit einer abstrakten Idee von Menschlichkeit großflächig über alle offenen Fragen und Probleme zu streichen, damit das Stück irgendwie abgeschlossen wird. Den Mut, Fragen zu stellen, sie auszuhalten und stehen zu lassen, dessen Mangel am Anfang des Stückes beklagt wird, fehlt auch hier.

Und das ist die gesamte Tragik dieser Inszenierung. An so vielen Stellen möchte man dem Stück zurufen “Ihr habt’s doch! Lasst den Gedanken wirken. Geht dem nach!” nur damit wieder irgendein Feuerwerk in die potentiell nachdenkliche Pause gefeuert wird. Das Alles zwischen einem Bühnenbild (Daniel Wollenzin), welches den Charme von DDR-Datschen nach der Deutschen Einheit, zwischen Zigarettenwerbung und Zufluchtsort fast perfekt einfängt. Vor einem guten aktuellen Radioprogramm-Zusammenschnitt, was die Entpolitisierung der Mehrheitsgesellschaft spiegelt. Bei stimmungsvoller Beleuchtung (Oskar Bosman), guten Kostümen (Lena Schmid) und Schauspieler*innen, die definitiv könnten, aber aus irgendeinem Grund nicht dürfen.

Wenn das Staatstheater mehr als Unterhaltung anbieten möchte, müssten sie sie aber eigentlich lassen. Sich ein wenig zurücknehmen, Ideen und Ausdruck Raum geben. Damit aus dem Theater wieder Heilung statt Phantomschmerz wird. Zonenrandgebiet könnte ein guter Einstieg sein in einer Debatte um Osten und Westen. In eine Debatte die nach wie vor daran krankt, dass man den Osten auf Grenzschutz, Stasi und Nazis reduziert, während die Vielschichtigkeit in Parallelen und Differenzen zweier Unterschiedlicher Staatssysteme und Wirtschaftsverläufe nicht gesehen wird. Aktuell ist da aber viel zu viel Klamauk, um ernsthaft aus der Reproduktion der klassischen Ost-West Bilder auszubrechen.

Zonenrandgebiet läuft noch bis zum 18.04. Der Eintritt ist für Kasseler Studierende kostenlos.

Autor: K. Winter

Foto: Nicolas Wefers

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