“Beware; for I am fearless, and therefore powerful.”

Das Staatstheater modernisiert “Frankenstein” in “Prometheus Inc.“

Wenn man im Foyer des Opernhauses mit folgender Frage begrüßt wird: „Haben Sie schon eine Gruppe?“, spätestens dann ist klar, dass das kein klassischer Theaterabend wird. Das Publikum ist kein Publikum mehr, es ist Teil des Recruitment-Days von Prometheus Inc., einer riesigen Versandfirma, quasi Amazon mit einem cooleren Namen. Nur, dass dieser Recruitment-Day zwei Haken hat: Zum einen steckt Prometheus Inc. in einer Krise. Zum anderen läuft ein Monster frei in der Firma herum – und es tötet.

Grundsätzlich folgt das Stück der Rahmenhandlung des Romans „Frankenstein“ von Mary Shelley, nur, dass die Handlung nicht mehr im 19. Jahrhundert spielt, sondern in einer Welt, die unserer sehr ähnlich ist. In dieser soll Victor Frankenstein einen der weltweit größten Versandkonzerne von seiner Mutter Karoline übernehmen, die diesen aufgebaut hat. Da sich aber die Visionen von Victor und Karoline für die Zukunft von Prometheus Inc. so gar nicht ähneln, behält Karoline ihren Posten als Firmenchefin schließlich doch. Victor hat dadurch viel Freizeit, die er damit verbringt, in seinem Labor ein neues Wesen aus Leichenteilen zu erschaffen. Als dieses ausbricht und Chaos in der Firma anrichtet, wird Victor damit konfrontiert, was es bedeutet, wenn ein Mensch die Grenze zwischen Leben und Tod überschreitet.

Zuschauen war gestern; jetzt packt man Pakete

Wer „Frankenstein“ gelesen hat, dem sollten Teile der Handlung sehr bekannt vorkommen. Trotzdem ist dadurch das Stück keineswegs langweilig, im Gegenteil, die Abweichungen sind umso interessanter. „Frankenstein“ wird verwoben mit der Problematik von riesigen Konzernen, die zwar viel Macht haben, diese aber nicht für Gutes nutzen können oder wollen. So hat Victor zwar die Vision, mit Prometheus Inc. eine bessere Zukunft zu schaffen, dies wird aber von seiner Mutter als nicht realistisch abgetan. Stattdessen werden weiterhin die Arbeiter:innen ausgebeutet, bis diese anfangen, zu streiken. Auch ein Thema ist die klassische Heldenreise, bei der aber am häufig nicht ganz klar ist, wer überhaupt der Held (oder die Heldin) ist. Dabei bleibt die Handlung verständlich und leicht nachvollziehbar, was auch notwendig ist, weil die Zuschauer:innen aktiv an dem Stück beteiligt werden und es somit öfter zu kleinen inhaltlichen Pausen kommt.

Das ist nicht zwingend etwas Schlechtes und macht auch einen Teil des Reizes aus. Im Laufe des Theaterstücks rotieren die Gruppen, in die das Publikum anfangs aufgeteilt wurde. Man befindet sich also mal auf der Bühne, mal im Zuschauerraum der Antipolis und im „normalen“ Zuschauerraum vor der Bühne. Jede Gruppe hat dabei zwei Leiter:innen, von denen sie von einer Station zur nächsten geführt werden. Dabei wird auch das Thema des Recruitment-Days wieder aufgegriffen und man schnuppert im Laufe des Stückes in verschiedene Arbeitsstationen von Prometheus Inc. rein. Besonders spaßig ist dabei eine Station, in der man in einem Regal verschiedene Produkte (wie beispielsweise eine Hyaluron-Gesäßmaske) finden und in Pakete packen muss. Dabei sind die interaktiven Teile nie aus dem Kontext gerissen und orientieren sich am inhaltlichen Geschehen des Stücks. Wenn also Prometheus Inc. zur Steigerung der Produktivität spielerisches Arbeiten einführt, spielt man auch in der Gruppe ein „Spiel“, um die Gedanken mit denen der anderen Gruppenmitglieder zu synchronisieren.

Frankensteins Monster als Identifikationsfigur

Neben den interaktiven Elementen sorgt auch die Gestaltung der Bühne und der Kostüme dafür, dass man regelrecht in die Welt des Stücks hineingesogen wird. Alles ist in den Farben Schwarz, Weiß, Neon-Gelb und Pink gehalten. Die Frisuren sind übertrieben und triefen entweder vor Gel, oder die Haare stehen ab wie nach einem Elektroschock. Zusammen mit der oft dunklen Bühne, die durch einzelne Neonlampen oder bleiches Licht erhellt wird, wirkt die Grundstimmung des Stückes eher düster und sehr künstlich, wie eine verdrehte Parallelversion unserer Erde nach einer Giftmüll-Apokalypse. Auch Bildschirme werden eingesetzt, so sieht man die Welt beispielsweise manchmal durch die verzerrte Sicht des Monsters oder kann die Videotagebücher von Victor verfolgen.

Auch die Darsteller:innen sind toll. Nora Quest (Karoline Frankenstein) und Jakob Mühe (Karolines Assistent Henry Clerval) sind großartig in ihren Rollen als Matriarchin der Firma Prometheus Inc. und als ihr Assistent, der im Gegensatz zu Victor ihre Weltsicht komplett übernimmt. Auch Felix Thewanger als Victor Frankenstein, der zwar der Held des Stücks, aber andererseits auch dauerhaft verwirrt und frustriert ist, spielt seine Rolle gut. Vor allem in den Videotagebüchern, in der sein Innenleben reflektiert wird, kommt dies zum Ausdruck. Orientierung im Stück gibt ihm die Rolle der Sophia Lavrenza, die von Hannah Heinzelmann gespielt wird. Zusammen mit 60 Laien, die die Belegschaft von Prometheus Inc. darstellen, stellt sie glaubhaft eine revolutionäre Paketpackerin dar, die es schafft, alle Arbeiter:innen zum Streiken und somit die gesamte Firma zu Fall zu bringen.

Wer allerdings besonders heraussticht, sind das Monster und gegen Ende des Stücks seine Partner:in. Gespielt werden die Monster von Emy Mårtensson Liljegren und Hamilton Blomquist, die beide aus dem tänzerischen Bereich des Theaters kommen. Sie schaffen es – anfangs nur mit dem Körper und noch ohne Worte, dann mit der verzerrten Stimme von Jakob Mühe – das Monster anfangs unglaublich abstoßend und ziemlich gruselig wirken zu lassen. Als das Monster dann aber erklärt, dass es sich nur einen Seelenverwandten wünscht, mit dem es den Rest seines Lebens verbringen kann, rufen sie genauso überzeugend viel Mitleid und Sympathie hervor. Besonders der Tanz der beiden vereinigten Monster am Schluss des Stücks verdeutlicht diese unterschiedlichsten Gefühle, die das Monster bei uns hervorruft: Abscheu und Furcht aufgrund seiner Unnatürlichkeit, aber auch Mitgefühl, weil es trotz allem doch ein Mensch ist, wie wir auch.

„Prometheus Inc.“ wird noch am 20. und 21. März im Opernhaus des Staatstheaters aufgeführt.

Autorin: Hannah Kügl

Foto: Sylwester Pawliczek

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