Eklat im Studierendenparlament: Resolution zum Thema Antisemitismus führt zu Polizeieinsatz

Am Mittwochabend, 29.05.2024, war die Sitzung des Studierendenparlamentes schon reichlich fortgeschritten als der nächste Tagungsordnungspunkt, eine Resolution zum Thema Antisemitismus auf dem Campus der Universität Kassel, verhandelt wird. Eine Resolution ist eine auf einem Parlamentsbeschluss beruhende Erklärung. Schon Tage vor der Sitzung gab es hierzu viele Diskussionen. Pünktlich zum Tagungsordnungspunkt füllte sich der Raum mit immer mehr Zuhörer:innen und neuen Parlamentarier:innen. Die durch die Listen der ArbeiterinnenKinder und die Grüne Hochschulgruppe eingebrachte Resolution hat den Hintergrund, dass sich seit dem Angriff der Hamas am 07. Oktober 2023 und der Strategie des israelischen Kriegskabinettes auch das gesellschaftliche Klima an der Universität Kassel verändert hat.

In den letzten Wochen und Monaten habe es Anfeindungen gegenüber jüdischen Studierenden gegeben und es seien im Kontext der aktuellen Lage im Nahen Osten antisemitische Parolen skandiert worden. Ebenfalls habe es von einzelnen Personen NS-Vergleiche oder die Relativierung der Hamas gegeben. Die Hamas wird von der Deutschen Bundesregierung als terroristische Vereinigungen eingestuft. In Gänze findet sich der Resolutionstext unter diesem Artikel.

Parlamentssitzung war aufgeheizter als befürchtet

Hatten viele schon eine hitzige Debatte erwartet, so überstieg der Verlauf die Befürchtungen bei Weitem. Schon zu Beginn wiesen Vertreter:innen der RUK – sozial und antifaschistisch darauf hin, dass sie keine Resolution über Antisemitismus verabschieden könne, bevor es keine Debatte über Antisemitismus gegeben habe. Außerdem wolle man eine solche Resolution nicht mit den Stimmen des RCDS verabschieden, da dieser auf seinen Social-Media-Kanälen ein Bild von einem „Adolf Hitler mit einer Kufiya geliked“ hätte. Hiervon distanzierte sich die parlamentarische Vertretung des RCDS umgehend, der Post entspreche nicht seiner persönlichen Meinung; er bitte um eine Differenzierung zwischen ihm und dem RCDS als Institution.

Spätestens nach den Wortbeiträgen der Liste Unidiversität entwickelte sich die hitzige Debatte zu einem regelrechten Eklat. Ein Vertreter von Unidiversität, der erst pünktlich zum Tagesordnungspunkt erschienen war, sah in der Resolution „eine Verleugnung von Völkermord.“ Zahlreiche Parlamentarier:innen sowie weitere anwesende Studierende widersprachen dieser Wahrnehmung entschieden. Es gehe nicht um die Kriminalisierung von Protesten oder dem Absprechen von Leid, sondern darum, dass sich alle Menschen gleichermaßen angst- und diskriminierungsfrei über den Campus bewegen könnten.

Die Situation eskaliert

Die Stimmung ist aufgeladen und emotional, einige schreien. Irgendwann fällt die Aussage: „Die Hamas ist keine Terrororganisation.“ Das Präsidium des Studierendenparlaments droht mit einem Ordnungsruf. Fast alle Anwesenden schwanken zwischen lautstarker Empörung und Paralyse. Wenig später fällt der Satz ein zweites Mal. Einige der Anwesenden schreien ihre Wut und ihre Verzweiflung über das im Raum schwebende Statement heraus. Auch das Präsidium schreit jetzt und verteilt Ordnungsrufe. Die Sanktionen treffen hauptsächlich die Empörten.  Auch als schon eine mögliche strafrechtliche Relevanz der Aussage im Raum stand, blieb das Präsidium des Studierendenparlaments untätig. Über die Bitte einer Protokollanmerkung zeigte sich das Präsidium irritiert.

Ein Parlamentarier ruft die Polizei

Während das Präsidium und die übrigen Parlamentarier:innen noch darum rangen, wie nun mit dem Sachverhalt umzugehen sei, schuf ein Parlamentarier Fakten. Per Telefon hatte dieser die Polizei verständigt. Unter Diskussionen und Protest vonseiten einiger Parlamentarier:innen sowie Vertreter:innen des AStAs verschaffte sich wenig später eine größere Anzahl von Polizist:innen Zugang zum Parlament, das sich in einem regen Durcheinander befand. Zeitgleich hatten Vertreter:innen des AStAs demjenigen, der die Aussage getätigt hatte, ein Hausverbot erteilt. Trotz freundlicher Worte wollte dieser der Aufforderung nicht nachkommen. Ob einvernehmlich oder nicht, durchgesetzt wurde das Hausverbot durch die Polizei, die inzwischen in die Räume des Parlamentes vorgedrungen waren. Zielstrebig steuerten Sie den Parlamentarier an, der das Statement zur Hamas gesagt hatte. Nach einer kurzen Begrüßung, „guten Abend“, wurde er von der Polizei aus dem Haus begleitet.

Die eigentliche Abstimmung der Resolution ist in Anbetracht dieser Ereignisse fast schon untergegangen. Mit elf Ja-Stimmen, drei Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen wurde die Resolution zum Thema Antisemitismus auf dem Campus der Universität Kassel angenommen.


Resolution zum Thema Antisemitismus auf dem Campus der Universität Kassel:

Das Studierendenparlament der Universität Kassel möge beschließen:

…, dass die verfasste Studierendenschaft der Universität Kassel folgende Auffassung vertritt:

Die Universität ist ein Ort der Wissenschaft und der Auseinandersetzung. Jegliche Formen von Diskriminierung widersprechen dem akademischen Grundkonsens, dem wir uns alle verschrieben haben und sollten in keinem Fall Teil der Debatten sein, die auf unserem Campus stattfinden. In den vergangenen Monaten kam es am Campus der Universität Kassel wiederholt zu Vorfällen, die als antisemitisch einzuordnen sind. Diese Vorfälle gefährden ein studentisches Miteinander, indem auch jüdische Studierenden sich auf unserem Campus sicher fühlen können. Dieser Zustand ist in keiner Weise hinnehmbar. Vielmehr ist es enttäuschend, dass unser Campus in den letzten Monaten immer wieder Schauplatz dieser antisemitischen Zwischenfälle geworden ist.

Während das immense Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen in keiner Weise zu relativieren ist und eine Kritik an der israelischen Regierung und deren Vorgehen im Zuge des andauernden Krieges (sowie damit einhergehende Veranstaltungen) in einem demokratischen Kontext auch auf dem Campus einer Universität möglich sein muss, so darf diese Kritik und damit der andauernde Konflikt in keinem Fall als Vehikel für Antisemitismus und zur Legitimation antisemitischer Aussagen dienen. Gleichermaßen sollte die Brutalität, mit der die Hamas am 07. Oktober 2023 in Israel einfiel, nicht runtergespielt oder relativiert werden. Es ist ein zwingende Notwendigkeit, dass auch jüdischen Studierende die Möglichkeit haben, Veranstaltungen auf unserem Campus durchzuführen, ohne die Sorge zu haben angefeindet zu werden.

Die Thematik des Nahost-Konflikts sollte an einer akademischen Einrichtung in wissenschaftlicher Manier behandelt und in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Teil einer angemessenen Debattenkultur sollte sein, dass niemand Diskriminiert wird und dass die durch diskriminierende Handlungen verletzten Gefühle und hervorgerufenen Ängste von Betroffenen anerkannt und ernstgenommen werden.

Das Studierendenparlament verurteilt die beschriebenen antisemitischen Vorfälle und macht deutlich, dass unser Campus kein Ort für Antisemitismus ist! Damit tritt das Studierendenparlament dem Narrativ der Universität Kassel als „Antisemitischer Hotspot“ entgegen und verdeutlicht, dass jene Veranstaltungen, auf denen antisemitische Parolen skandiert und extrem fragwürdige NS-Vergleiche getätigt werden, nicht die Gesamtheit der Studierendenschaft repräsentieren. Das Studierendenparlament distanziert sich von derartigen Aussagen und verurteilt diese aufs schärfste. Darüber hinaus tritt das studierenden Parlament für eine wissenschaftliche Debatte ein, die Frei von Rassismus, Antisemitismus und Reduktionismus sein soll.

Begründung:

A. Problem

Seit dem brutalen Überfall der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung am 07. Oktober 2023 hat sich das Klima gegenüber jüdischen Menschen und jüdischem Leben in Deutschland verändert. Im Zuge dessen kam es in den letzten Monaten auch an der Universität Kassel immer wieder zu Vorfällen, bei denen antisemitische Parolen skandiert wurden und die Situation im Gazastreifen mit der NS-Zeit verglichen wurde.

Darüber hinaus kam es bei der Studentischen Vollversammlung am 07. Februar 2024 zu Anfeindungen gegenüber jüdischen Studierenden und zu Aussagen, in denen dementiert wurde, dass die Hamas eine Terrororganisation ist. Bisher wurden diese Vorfälle nicht vom Studierendenparlament aufgegriffen und blieben dementsprechend unkommentiert, was politisch nicht weiter als akzeptabel gelten kann.

B. Lösung

Auch wenn eine einfache Resolution das Problem an sich nicht beheben wird, so positioniert sich das Parlament mit dieser Resolution eindeutig gegen die antisemitischen Vorfälle und zeigt damit, dass das Parlament nicht bereit ist, diese unkommentiert hinzunehmen. Darüber hinaus bietet die Resolution eventuell die Möglichkeit, einen Aufarbeitungsprozess für die Vorfälle in Gang zu setzen.

C. Alternativen

Das Studierendenparlament lehnt diese Resolution ab und sendet damit ein eindeutiges Signal an jüdische Studierende, dass das Parlament nicht daran interessiert, für diese studierenden einzutreten. Das in den Medien präsente Bild der Universität Kassel als antisemitischer Hotspot wird verstärkt und der Ruf unserer Universität wird weiter geschädigt.

D. Finanzielle Auswirkungen auf das laufende Haushaltsjahr

Keine